Radfahrer-Nazis in Kreuzberg? Was Harald Martenstein verschweigt

Kreuzberg ist ja bekanntlich der Ort in Deutschland wo Menschen anderer Hautfarbe oder Aussehens mit am wenigsten befürchten müssen angegriffen zu werden.

Hier werden Grüne Altachtundsechziger im besten Sinne dieser Bezeichnung mit absoluter Mehrheit in den Bundestag gewählt und die CDU schafft gerade mal die 5% Hürde.

Ja sie hängt hier nicht mal Wahlplakate auf wohl in der Annahme, dass diese hier als am weitesten rechts stehende Splitterpartei für Nazis gehalten werden könnte. Da das östliche Friedrichshain mitgezählt wird im Wahlkreis fällt das Ergebnis jedoch nicht ganz so doll auf.

Nazis trauen sich dank flächendeckender Versorgung mit freiwilliger Antifa-Feuerwehr nicht nach Kreuzberg rein.

Radfahrer/innen gibt es hier viele und in allen ihren Arten: Ob klappriges altes Damenrad, stylishes Fixie oder Kind-gerechtes Lastenrad, Kreuzberg ist das Kopenhagen Berlins.

Nun war ich geradezu erschrocken als ich las, dass in Berlin Kreuzberg Radfahrer-Nazis geben soll.

Ein Herr Harald Martenstein von der ZEIT will diese Radfahrer-Nazis als solche identifiziert haben nachdem er sie beim ausparken an der Weiterfahrt gehindert hatte. Diese regten sich darüber auf, verständlicherweise zunächst.

Herr Martenstein machte allerdings nicht den Radweg frei, sondern stieg aus und versuchte sein Recht des Stärkeren – den Radweg zu blockieren – zu verteidigen. Die Radfahrer/innen waren nicht erfreut und verschafften sich lautstark Luft.

Daraufhin bezeichnete Herr Martenstein die Radfahrer/innen als Nazis. Diese waren natürlich noch weniger erfreut darüber, schließlich ist „Nazi“ eben das Letzte was Menschen in Kreuzberg sein wollen.

Die Folge: Die Radfahrer/innen, die sich wohl zuvor nicht mal kannten, erstatteten gemeinsam Anzeige gegen Herr Martenstein.

Herr Martenstein ist ein Kolumnist der ZEIT. Das bedeutet er lebt sein Privatleben öffentlich und wir können es bis auf einige Details nachlesen. Ich habe mir die Mühe gemacht das zu tun. So wird klar was Herr Martenstein in dem Kontext verschweigt.

Herr Martenstein verbindet eine Hassliebe zu seinem Auto, einem Cabrio mit sehr schlechter Sicht nach hinten. Zitat:

Das Auto hat eine schlechte Sicht nach hinten. Einparken ist mühsam. Nun werde ich also jahrelang Mühe beim Einparken haben…

Wegen dieser beiden Dinge wird er immer wieder auf offener Straße angepöbelt, von Autofahrer/inne/n wohlgemerkt die dann aber für eine Antwort nicht sehr offen sind und meist weg fahren.

So hat Herr Martenstein schon lange sich rächen wollen an „diesen Leuten“ im Sinne einer Art ausgleichender Gerechtigkeit. Radfahrerinnen können nicht einfach ein Fenster schließen und so konnte er dies nun tun. Zitat:

„Das Schlimmste ist, dass ich mich niemals verteidigen kann, ich kann auch nicht zum Gegenangriff übergehen, nicht dass ich keine Schimpfwörter wüsste oder dass in meinen Adern Wasser flösse, zur Aggression bin auch ich fähig.

Aber nach der Beschimpfung fahren sie sofort ihre Scheiben wieder elektrisch hoch und geben Gas. Ich habe kein einziges Mal eine Beschimpfung erwidern dürfen!“

Lieber Herr Martenstein, ich denke es lief so ab: Sie parkten nach hinten aus und übersahen den ersten Radfahrer wegen ihrer schlechten Sicht nach hinten in Ihrem Cabrio. Sie fuhren Ihn fast an und blockierten dann seinen Weg.

Er war also zurecht aufgebracht. Statt sich aber zu entschuldigen und nach dem Befinden des Radfahrers (Sind sie unverletzt?) zu erkundigen, witterten Sie ihre Chance Ihren aufgestauten Autofahrer-Frust mal so richtig rauszulassen.

Auch der Umstand, dass eine weitere Radfahrerin sich ebenso empörte, ließ Sie, Herr Martenstein, nicht an Ihrem Vorrecht als stärkerer Verkehrsteilnehmer zweifeln.

Da Sie wie Sie selbst sagen in Kreuzberg waren und die Radfahrer Ihnen „alternativ“ erschienen, überlegten Sie sich die schlimmste Beleidigung die einem Kreuzberger Radfahrer richtig saures geben würde, eben „Nazi“. Dann fuhren Sie weg voller Genugtuung es ihnen mal gezeigt zu haben zumal Sie Leute die was gegen Autos haben in ihren Artikeln gern mal mit Nazis vergleichen.

Ich persönlich habe nicht pauschal was gegen Autos, ich fahre fast jeden Monat selber eins, als Beifahrer wohlgemerkt. Als Elektroautos oder im Rahmen von Carsharing sind sie besonders sinnvoll.

Auch schätze ich den Fahrspaß wenn kaum andere Autos den Weg blockieren. Das Auto als Verkehrsmittel des Alltags ist aber untauglich in der Stadt und gefährlich.

Busse und Bahnen sowie das Rad, vor Allem in Kombination sind ihnen eindeutig überlegen. Diese Einsicht wird sich im Lauf der Zeit auch außerhalb Kreuzbergs durchsetzen.

Ich würde gerne die Geschichte aus Sicht der zwei Radfahrer hören die anders als Herr Martenstein keine Kolumne in der ZEIT haben um ihre Sicht der Dinge zu schildern. Wenn Ihr das lest, sagt Bescheid.

Wäre ich ein Richter würde ich bei Herr Martenstein trotzdem Milde walten lassen. Schließlich ist er kein Überzeugungstäter, sondern hat eher aufgrund widriger Umstände instinktiv gehandelt. Auch ist er als ZEIT-Kolumnist ein wertvolles Mitglied unserer Gesellschaft.

Als Strafe oder eher Belohnung schlage ich daher einen Führerscheinentzug für mind. 3 Monate und mind. 12h gemeinnützige Arbeit, am besten in einer Fahrrad-Werkstatt in Kreuzberg vor.

Auto fahren in der Stadt ist halt extrem anstrengend. Wer da nicht aggressiv wird muss schon Zen erfahren sein. Ich halte Herr Martenstein also keineswegs für einen Autofahrer-Nazi.

Eine Frage habe ich dann aber doch noch: In ihrem Auf „Leben und Tod“-Artikel sprechen sie verächtlich von „Asylanten“. Sagen Sie dann zu Herr Obama auch Neger? Sie, als distinguierter ZEIT-Kolumnist, müssten doch wissen, dass das richtige Wort „Asylbewerber“ oder gar „Flüchtling“ heißt?